Christian Scherg
 
Krisenkommunikation | Reputation | Internet 

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April 2013

Krisenkommunikation für Unternehmen

Krisenkommunikation für Unternehmen und ihre Reputation in der Vor-Internet-Ära

Krisenkommunikation Unternehmen

Die Reputation eines Unternehmens entscheidet in hohem Maße über den Wert einer Marke. Und selbst sehr große Marken können schnell beschädigt werden, wenn sie bei der Krisenkommunikation Fehler machen. Wie entscheidend wichtig die Reputation eines Unternehmens ist und wie rasch sie beschädigt werden kann, zeigt ein Beispiel, das noch der Vor-Internet-Ära entstammt.

Im Jahr 1995, also dem Geburtsjahr des Internet – sah sich der internationale Konzern Shell binnen weniger Tage mit einem Problem konfrontiert, dessen Ausmaße sicherlich keiner der Verantwortlichen bei Beginn der Krise auch nur annähernd geahnt hätte. Der Fall „Brent Spar“ steht heute für eine der größten Reputations- und Krisenkommunikationsherausforderung in der Geschichte des Öl-Multis. Die Brent Spar war keine Förderplattform, wie oft geschrieben wurde, sondern vielmehr ein riesiger schwimmender Tank, den der Ölkonzern Shell in der Nordsee rund 190 Kilometer nordöstlich der britischen Shetlandinseln im Atlantik verankert hatte. Sie diente in den Jahren 1976 bis 1991 als Zwischenlager für Rohöl, das aus dem „Brent“-Ölfeld gefördert wurde. Tankschiffe sammelten hier das Rohöl ein und transportierten es zu den Raffinerien auf dem Festland. Die „Brent Spar“ hatte eine Höhe von 140 Metern, einen Durchmesser von 30 Metern, wog 14.500 Tonnen und wurde überflüssig, als neue Pipelines das Rohöl direkt zum Ölterminal Sullom Voe transportieren konnten.

Im Jahr 1995 traf der Shell-Konzern die Entscheidung, die – vergleichsweise kleine – „Brent Spar“ zu entsorgen und sie in einem Tiefseegraben westlich von Irland, dem Rockall-Trog, zu versenken. An diesem Punkt jedoch schaltete sich die Umweltschutzorganisation Greenpeace ein: Sie befürchtete, die „Brent Spar“ könnte zum Präzedenzfall werden und damit die Versenkung weiterer überflüssiger Tank- und Förderplattformen auslösen. Von dieser Sorte gab es im Atlantik sowie in der Nord- und Ostsee seinerzeit ein paar hundert Exemplare– und Greenpeace war der Ansicht, dass Industrieschrott umweltfreundlich entsorgt werden, und nicht einfach irgendwo in den Weiten des Meeres versenkt werden sollte.

Am 30. April 1995 – keine drei Monate nachdem Shell angekündigt hatte – die „Brent Spar“ zu versenken – enterten zwölf Greenpeace-Aktivisten die Tankplattform und besetzten diese. Zeitgleich erklärte Greenpeace unter Berufung auf Shell UK, dass die Plattform rund 100 Tonnen schwermetallhaltige Ölschlämme sowie runde 30 Tonnen schwach radioaktive Salzablagerungen enthalte.

Am 12. Mai 1995 wurde den Besetzern der „Brent Spar“ per Hubschrauber eine einstweilige Verfügung zugestellt, die sie zum sofortigen Verlassen der Plattform aufforderte. Zeitgleich begann Greenpeace Deutschland damit, an Shell-Tankstellen Flugblätter zu verteilen, auf denen die Autofahrer auf die Aktion und ihre Hintergründe aufmerksam gemacht wurden.

Nachdem am 22. Mai 1995 der Versuch, ein Räumkommando per Kran auf die „Brent Spar“ zu bringen, am schlechten Wetter scheiterte, enterten am frühen Morgen des 23. Mai 15 Shell-Mitarbeiter und sechs Polizisten die Plattform und räumen sie. Zeitgleich sprach sich die damalige Umweltministerin, Angela Merkel, öffentlich gegen eine Versenkung der Plattform aus.

Eine weitere Besetzung der „Brent Spar“ Anfang Juni des Jahres wurde zwar abermals rasch beendet, doch auf dem Festland lief die PR-Aktion gegen den Shell-Konzern unvermindert weiter – und fand immer mehr Unterstützer und Sympathisanten auch in anderen europäischen Ländern, allen voran den Nordsee-Anrainern Niederlande und Dänemark.

Die Umsätze der deutschen Shell-Tankstellen, die einen Marktanteil von 13 Prozent hielten, brachen um die Hälfte ein. Am 20. Juni 1995 gab der Shell-Konzern schließlich nach und gab öffentlich bekannt, die „Brent Spar“ nicht versenken, sondern an Land und umweltfreundlich entsorgen zu wollen. Nahezu zeitgleich startete Shell eine Kampagne mit dem Motto „Wir werden uns ändern“.

Ein voller Erfolg für Greenpeace? Nur eingeschränkt, denn am 4. September 1995 sah sich Großbritanniens Greenpeace-Direktor Peter Melchett gezwungen, eine schriftliche Entschuldigung an den britischen Shell-Vorstandschef Chris Fay zu schicken: Zwischenzeitlich (Mitte Juni) hatte Greenpeace nämlich behauptet, auf der „Brent Spar“ hätten sich noch 5.500 Tonnen Rohöl befunden. Diese Behauptung erwies sich im Nachhinein als falsch. Man hatte Messergebnisse falsch bewertet und ungeprüft veröffentlicht. Immerhin: Aufgrund der späten Veröffentlichung hätten diese Aussagen wohl kaum eine Auswirkung auf die längst laufende Kampagne gehabt. Tatsächlich kamen Umweltexperten schon bald zu der Ansicht, der bei einer Versenkung der „Brent Spar“ entstandene Umweltschaden wäre minimal gewesen.

Späte Genugtuung für den Shell-Konzern? Ebenfalls Fehlanzeige: Greenpeace verbucht die Aktion „Brent Spar“ bis heute auf der Erfolgsseite. Nicht ohne gute Gründe, denn im Juli 1998 beschlossen die 15 Teilnehmerstaaten der Oslo-Paris Kommission (OSPAR) zum Schutz des Nordost-Atlantik ein Versenkungsverbot für Ölplattformen.

Nebenbei erwähnt: Bereits im August 1995 erklärte der deutsche Shell-Vorstandschef Peter Duncan, beim „Brent Spar“ Konflikt habe es sich in erster Linie um ein Kommunikationsproblem gehandelt.