September 2013
Shitstorm Beispiele
Shitstorm Beispiele: Eine Liste
Shitstorms gibt es viele. Hier sind in nicht chronologischer Reihenfolge – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität – einige interessante, nachdenkliche, brisante und unterhaltsame Beispiele:
Shitstorm Beispiele 01: Erziehung mit der Schottenmütze
Betroffen: Jamie Oliver
Der Auslöser: Interview mit Jamie Oliver in der BBC Good Food Show. Der Vater von vier Kindern erzählt freimütig über seine außergewöhnlichen Erziehungsmethoden: Weil schlagen mit dem Kochlöffel schon seit einiger Zeit nicht mehr ganz so gern gesehen wird, hat sich der Starkoch ein anderes "Rezept" zur Züchtigung seines Nachwuchses einfallen lassen: Er mischt seiner 12-jährigen Tochter einfach mal ohne ihr Wissen die schärfste Chili der Welt ins Essen.
Der Shitstorm: Eigentlich ist es fast wie immer: Jamie Oliver gibt ein Rezept preis und Tausende kochen – diesmal allerdings vor Wut. Auf Twitter und Facebook gibt es ähnlich viele entrüstete Reaktionen wie die von Oliver als pädagogisches Instrument verfremdete Chili-Schote mit dem Namen "Schottenmütze" (Scotch Bonnet) Schärfe-Einheiten hat. Und das sind auf der Scoville-Skala amtliche 300.000. Chilis brennen auch in Social Media immer zweimal...
Was wir daraus lernen: Nicht jede Anekdote ist lustig – besonders nicht, wenn sie auf Kosten von Schwächeren, Schutzbefohlenen oder – wie hier – Kinder geht. Natürlich muss auch nicht jede Antwort politisch korrekt sein, aber in einer Kochsendung zu erzählen, wie man seine Kinder mit Chilis quält, ist nicht das, was wir von Prominenten erwarten, die für sich in Anspruch nehmen, eine gewisse Vorbildfunktion zu haben. Das ist aber umgekehrt auch der Trugschluß, dem viele Prominente erliegen: Weil sie in der Öffentlichkeit stehen, werden sie zu den unterschiedlichsten Themen befragt – doch nur weil man gut kocht oder exzellent Fußball spielt, muss man sich weder besonders gut mit Wirtschaft, Politik oder – wie hier – mit Pädagogik auskennen. Bescheidenheit, Zurückhaltung und Fokussierung auf das Wesentliche sind Tugenden, die man gerade als Persönlichkeit des öffentlichen Interesses immer wieder bewusst kultivieren muß.
(Bild: www.hoteliermiddleeast.com)
Shitstorm Beispiele 02: Barilla-Chef geht's an die Nudel
Betroffen: Barilla
Der Auslöser: Guido Barilla, Chef des Nudel-Riesen, will auch zukünftig nicht mit homosexuellen Paaren werben.
Der Shitstorm: Die Community findet seine Einstellung nicht besonders "al dente" und reagiert entsprechend: Ein Twitter-Shitstorm entbrennt. Unter dem Motto "dem seine Nudel nehme ich nicht mehr in den Mund" entsorgen entrüstete Schwule und Lesben ihre vollen Barilla-Tüten im Müll und dokumentieren dies auf Social Media ausgiebig. Unter dem Hashtag #boicottabarilla finden sich immer mehr Gleichgesinnte zusammen, so dass sich Guido Barilla schließlich entschuldigt: "Es tut ihm leid, wenn er Gefühle verletzt habe", lautet die Reaktion des Unternehmens.
Was wir daraus lernen: Homophobie und Diskreditierung von Minderheiten hat im Netz (glücklicherweise) keine große Lobby. Bekannte internationale Marken und deren Repräsentanten tun gut daran, sich in Toleranz zu üben und dieses auch klar in den Unternehmensstatuten zu verankern. Gestriges Gedankengut lässt sich (leider) nicht verhindern – dieses zu äußern, schon.
Shitstorm Beispiele 03: Flight 214 und die koreanischen Piloten
Betroffen: Fernsehsender KTVU
Der Auslöser: Nach dem Absturz einer Boing 777 in San Francisco bei dem drei Menschen starben sorgte ein rassistischer Witz für Empörung. Was war passiert? Kurz nach dem Absturz hatte der kalifornische Fernsehsender KTVU neben Fotos des ausgebrannten Flugzeugwracks als erstes die Namen der vermeindlichen koreanischen Piloten veröffentlicht: Sum Ting Wong, Wi Tu Lo, Ho Lee Fuk, Bang Ding Ow. Das entpuppte sich jedoch als übler Scherz. Laut ausgesprochen bilden die Namen einen witzig gemeinten Ablauf des Unfallhergangs: "Something wrong, we too low, holy fuck, bang ding ow" oder auf deutsch: "Etwas läuft falsch, wir sind zu niedrig, heilige Scheiße, bumm, krach, aua."
Der Shitstorm: Um sich vorzustellen, dass der Sturm der Empörung gegen die Verantwortlichen des Fernsehsenders KTVU entsprechend groß war, bedarf es keiner sonderlich großen Phantasie. KTVU entschuldigte sich, indem sie öffentlich vermeldeten, dass sie die Namen im Vorfeld weder laut ausgesprochen, noch sich über die Position des Mitarbeiters bei der US-Behörde für Verkehrssicherheit (NTSB) vergewissert hätten, der ihnen die Namen der Piloten telefonisch bestätigt hätte. Die NTSB entschuldigte sich ihrerseits später ebenfalls – allerdings mit dem Hinweis, dass nicht abschließend geklärt wäre, auf welcher Seite die Namen entstanden wären.
Was wir daraus lernen: Ja, interne Witze können sehr lustig sein – zumindest solange sie intern bleiben. Mails des Vorstands, ausgelassenes Feiern auf dem letzten Betriebsfest – was eigentlich hinter verschlossenen Türen stattfinden sollte, findet heute nur allzu schnell seinen Weg in die Öffentlichkeit. Ein Mausklick genügt. Gerade große und prozessual-komplexe Unternehmen müssen diesem Umstand mit klaren, rigiden Regeln und hoher Sorgfalt begegnen, wenn sie am Ende nicht in selbstverschuldete Kommunikationskrisen geraten wollen.
Shitstorm Beispiele 04: Der (virtuelle) Tod von Michail Gorbatschow
Betroffen: Michail Gorbatschow
Der Auslöser: Die falsche digitale Todesmeldung vom Ableben des ehemaligen Kreml-Chefs sorgte für einen Shitstorm. Allerdings galt der Sturm des Hasses nicht dem Verursacher der Falschmeldung sondern Michail Gorbatschow selbst.
Der Shitstorm: "Wir kommen zu seiner Beerdigung, um auf seinen Sarg zu spucken" – mit solchen Kommentaren machte sich die aufgebrachte russische Seele Luft. Sie zeigen, wie tief der Eindruck in der russischen Gesellschaft verhaftet ist, der 82jährige russiche Staatslenker a.D. hätte die ehemals "starke" Weltmacht UdSSR in die Bedeutungslosigkeit und den finanziellen Ruin getrieben. Die Postings und Kommentare sind mittlerweile zensiert, gelöscht, verschwunden. Doch der Stachel im Fleisch des russichen Bären eitert weiter...
Was wir daraus lernen: Das Dampfkesselprinzip pfeift uns in diesem Beispiel die Melodie der russischen Nationalhymne. Doch dies ist nur ein Beispiel von vielen: In Social Media werden über einen langen Zeitraum aufgestaute Emotionen sichtbar. Schlagartig und unvermittelt. Entscheider und Politiker sollten diese ernst nehmen und frühzeitig agieren, wenn sich bereits die ersten Symptome zeigen. Das Netz ist ein wichtiger und wirkungsvoller Meinungsindikator, von dem man viel lernen kann.
(Bild: Michail Gorbatschow von Annie Leibovitz (Keystone))
Shitstorm Beispiele 05: Die Deutsche Bahn macht den Shitstorm zur Chef(-Ticket)-Sache
Betroffen: Deutsche Bahn
Der Auslöser: Riesenidee der Deutschen Bahn: Exklusiver Verkauf des sogenannten Chef-Tickets für 25,00 Euro exklusiv über eine eigene Facebook-Seite. Im Grunde nicht schlecht. Hat auch gut funktioniert: Binnen kürzester Zeit waren 8.000 Fans versammelt, die eigentlich nur Eines wollten: Das Chef-Ticket? Nein. Sich und ihren aufgestauten Aggressionen gegen die Bahn auf der neuen Social Media Präsenz mal so richtig Luft verschaffen.
Der Shitstorm: Verspätung, ausgefallene Züge, Stuttgart 21, mangelhafte Technik – die Liste der Themen ist lang, das Kommunikationsbedürfnis ist hoch und die Deutsche Bahn völlig überrumpelt. Man schweigt, moderiert nicht, übersieht Fragen und verhält sich defensiv und zeigt: Wir sind vollkommen überfordert. Das Problem: Es gibt Social Media Kanäle der Bahn, aber diese waren zu diesem Zeitpunkt kommunikative Wartegleise. Hier reagierte schlicht niemand. Dass sich alle enttäuschten Bahnfahrer hoffnungsvoll auf den Chef-Ticket-Kanal stürzten, war also eine absolut logische Konsequenz des mangelnden Dialogs, den die Bahn zuvor auf ihren anderen Kanälen geführt hatte. Also wenig überraschend für alle – außer für die Agentur der Deutschen Bahn.
Was wir daraus lernen: Meinung und Kritik sucht sich immer einen Weg. Ignoranz ist auf Dauer keine Lösung, weshalb Unternehmen das Dialogmedium Internet im Allgemeinen und Social Media im Speziellen ernst nehmen sollten. Sie können sich der Auseinandersetzung nicht entziehen, deshalb sollten sie sich ihr proaktiv stellen.
Shitstorm Beispiele 06: Es gibt keine dummen Fragen – oder vielleicht doch?
Betroffen: Samsung
Der Auslöser: Die Frage, die sich die Marketingverantwortlichen bei Samsung hatten einfallen lassen, lautete: "Welches elektronische Gerät würdet Ihr auf eine einsame Insel mitnehmen?" Genauso wurde diese dann auch der Community auf der US-amerikanischen Facebookseite gestellt. Ein freies Land verlangt nach freien Antworten und so kam es, wie es kommen musste...
Der Shitstorm: 12.000 Kommentatoren waren sich einig und nocheinmal 45.000 drückten überzeugt den Like-Button mit dem Ergebnis: Das kann nur ein Iphone vom härtesten Konkurrenten Apple sein. Herzlichen Glückwunsch zu dieser gelungenen Aktion (aus Apple Sicht). Dazu kommt: Samsung-Produkte selbst waren im Ranking ganz weit hinten unter ferner liefen.
(Bild: www.allthingsd.com)
Shitstorm Beispiele 07: Bei ING-Diba geht es um die Wurst!
Betroffen: ING-DiBa
Der Auslöser: Seit Jahren ist der Basketball-Superstar Dirk Nowitzki Testimonial der ING-Diba Werbekampagne. In einem TV-Spot, der in einer Metzgerei spielt, gab es für den sympathischen Sportler eine Scheibe Wurst mit den Worten: "Damit Du groß und stark wirst."
Der Shitstorm: Groß und stark wurde anschließend allerdings in erster Linie die Empörung im Netz: Vegetarier und Veganer liefen Sturm und fluteten den Facebook Kanal der Direktbank mit kritischen Postings zum Thema Fleischkonsum. ING-Diba blieb jedoch entspannt und ließ andere reagieren. Das Ergebnis: Viele Kunden solidarisierten sich mit der Direktbank und kritisierten ihrerseits den völlig überzogenen Ton und die harsche Kritik der Fleischwurstgegner. Am Ende blieb ING-Diba Sieger und der Shitstorm wandte sich gegen seine Erzeuger.
(Bild: Copyright ING-Diba)
Shitstorm Beispiele 08: Schmeckt lecker nach Hähnchen!
Betroffen: Pril
Der Auslöser: Unter dem Motto "Mein Pril - Mein Stil" hat der Spühlmittelhersteller eine kreative Idee: Soll doch die Internetcommunity die neue Design-Edition gestalten und anschließend darüber abstimmen. Die Macher stellen sich bunte Farben, Blumen und (maximal) ein paar psychedelische Muster vor. Doch es kommt anders: Auf Platz eins landet der krakelige Schriftzug "Schmeckt lecker nach Hähnchen" mit einer Brathähnchenornamentarik auf einem geschmackvollen (shitstorm-)braun. Pril reagiert und bedient sich eines Hintertürchens, das man sich für den Fall der Fälle offengehalten hat: Eine vom Hersteller eingesetzte Jury soll am Ende das Gewinner-Design auswählen. Die Community ist somit raus und Henkel sagt zur Begründung: "Das Design müsse auch Akzeptanz im Handel finden" – ander ausgedrückt: Keine Chance für den Geflügel-Entwurf!
Der Shitstorm: Vorwurf: Manipulation! Die Disqualifikation des Design-Vorschlags kommt mitsamt der Bereinigung einiger anderer Entwürfe bei der Facebook-Community und auf Twitter nicht wirklich gut an. Proteste werden laut, Postings werden von Henkel gelöscht und die Eskalationsspirale dreht sich schneller. So schnell, dass auch dem Designer des Hähnchen-Entwurfs – Peter Breuer, einem Werbetexter – schwindelig wird und er seinen Designvorschlag höchst offiziell zurücknimmt. Für Henkel bleibt die Aktion ein PR-Debakel, bei dem der Spühlmittelhersteller ordentlich "Federn lassen" musste...
(Bild: Copyright Henkel)
Shitstorm Beispiele 09: Have a break – Have a shitstorm!
Betroffen: KitKat (Nestlé)
Der Auslöser: 2010 war das Geburtsjahr des Shitstorm-Klassikers schlechthin: Der Fall Nestlé dient noch heute Journalisten, Social Media Experten und Powerpoint-Präsentatoren als Paradebeispiel eines Shitstorms.
Was ist passiert? Stein des Anstoßes war die Kritik von Greenpeace an der Verwendung von Palmöl bei der Produktion des Schokoriegels KitKat und die damit verbundene Zerstörung des Lebensraums der Orang-Utans. Befeuert wurde die Kampagne mit schockierenden Youtube-Videos, in denen u.a. ein junger Mann im Stil der Nestlé-Werbung nicht in einen knackigen Schokoriegel sondern herzhaft in einen blutigen Orang-Utan Finger beißt (siehe Bild).
Der Shitstorm: Das Greenpeace-Video war nur der Auftakt – so richtig los ging der Sturm erst, als Nestlé das Video wegen seiner hohen Verbreitungsgeschwindigkeit verbieten wollte und diverse Fanseiten abgeschaltet und Kommentare gelöscht wurden. Jetzt wurde aus dem strammen Lüftchen eben der Shitstorm, der bis heute als Klassiker vielfach zitiert, dokumentiert und kommentiert wurde. So wie hier.
(Bild: Copyright Greenpeace)
Shitstorm Beispiele 10: "Bildung" eines Shitstorms
Betroffen: Schlecker
Der Auslöser: Einfache Slogans sind gut zu merken, jeder versteht sie und so richtig viel Bildung braucht man dafür auch nicht. Der 2011 lancierte neue Claim von Schlecker "For You. Vor Ort." ist laut des Unternehmens bewußt so gewählt, weil der durchschnittliche Kunde ein "geringes bis mittleres Bildungsniveau" hat.
Der Shitstorm: Nachdem der Drogeriediscounter klar gemacht hat, warum der Claim in einem kalauerartigen "Denglisch" (Mischung aus Deutsch und Englisch) verfasst wurde, zeigt die Netzgemeinschaft deutlich, was sie von der "Bildungsoffensive à la Schlecker" hält: Das quantitative Niveau der negativen Kommentare und Postings steigt schnell weit über das vom Unternehmen angenommene Bildungsniveau seiner Kunden hinaus an. Schlecker steht im Zentrum eines veritablen Shitstorms.
(Bild: Copyright Schlecker)
Shitstorm Beispiele 11: Wir sind Einzelfall!
Betroffen: O2
Der Auslöser: Ein Blogger übt Kritik an der mangelnden Netzabdeckung des Unternehmens. O2 reagiert prompt: Das ist ein Einzelfall.
Der Shitstorm: Daraufhin startet der Blogger die Aktion "Wir sind Einzelfall". Tausende "Einzelfälle" melden sich darufhin, posten und kommentieren auf einer eigens dafür angelegten Webseite. Auch der Mobilfunkanbieter O2 schreibt schließlich einen Gastbeitrag, räumt ein, dass es sich wohl nicht nur um Einzelfälle handelt und gelobt öffentlich Besserung. Andere Anbieter wie die Deutsche Telekom nutzen den Shitstorm und die eingestandene Netzschwäche des Konkurrenten indessen ihrerseits zur Kundenakquise.
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